Mein Weg in den Orden: Pater Johannes Kaufmann SDB

Veröffentlicht am: 27. Mai 2025
P. Johannes Kaufmann

Pater Johannes Kaufmann

Ich bin am 25. Juli 1976 geboren und in einem kleinen Dorf nahe der schwäbischen Stadt Aalen aufgewachsen. Es gab nur zwanzig Häuser, und hinter unserem Garten begann die Natur. Die nächste größere Ortschaft war anderthalb Kilometer entfernt. Meine Eltern, mein Bruder und ich lebten dort harmonisch zusammen, die Beziehungen zu unseren Verwandten im Dorf waren jedoch eher spannungshaft.

Ich bin nicht besonders katholisch aufgewachsen. Wir gingen zwar sonntags in die Kirche und ich war engagierter Ministrant. Der Glaube war bei uns aber eher auf entspannte Art präsent. Vielleicht weil meine Mutter es als Kind zweier Mesner strenger erlebt hatte. Uns wollte sie deshalb bewusst die Freiheit lassen, selbst zu entscheiden. Wir sollten keinen Druck verspüren, in die Kirche zu gehen.

Jugend und früher Berufungswunsch

Ich erinnere mich, dass ich schon als Kind Priester werden wollte. So wie andere davon träumen, Feuerwehrmann zu sein. Warum, konnte ich nicht erklären – es war einfach da. Besonders geprägt hat mich ein Don-Bosco-Film, den wir zufällig zu Hause hatten. Ich weiß nicht, wie oft ich ihn gesehen habe. Don Bosco hat mich fasziniert: ein Mann, der junge Menschen versteht. Ich wollte jemand sein, der genau das kann: Jugendlichen beistehen, sie ernst nehmen, sie begleiten.

Ich war ein quirliger Junge, dem vieles zuflog, der aber nicht gerne lernte. Zunächst besuchte ich die Realschule, weil sie die nächstgelegene Schule war. Ich verbrachte meine Freizeit mit Lesen und spielte erfolgreich im Schachclub. Mit meiner Familie genoss ich es, in den Ferien mit dem Camper unterwegs zu sein.

Bis zur mittleren Reife hatte sich an meinem Berufswunsch nichts geändert, und so trat ich in ein Vorbereitungsseminar in Rottweil ein. Wir lebten dort als kleine Gemeinschaft und besuchten ein reguläres Gymnasium. Ich glaube, aus Sicht der anderen waren wir eine etwas seltsame Truppe – die „Konviktler“ eben. Ich holte Latein und Griechisch nach und machte schließlich Abitur mit den Fächern Altgriechisch, Latein und Hebräisch – eine seltene Kombination, die für die Schule organisatorisch eine Herausforderung war.

Nach dem Abitur begann ich das Theologiestudium an der Universität Tübingen als Seminarist der Diözese Rottenburg-Stuttgart. Es war kein klassisches Priesterseminar mit striktem Tagesplan, sondern ein eher freies Theologenkonvikt. Ich lebte im Wilhelmsstift und später sogar in einer WG in der Stadt. Während angehende Priester andernorts einem strengen Wochenplan folgten, mussten wir nur einmal im Monat einen gemeinsamen Termin gestalten. Für mich war diese Freiheit ideal.

Ein Jahr in Bolivien, leben in Gemeinschaft

Höhepunkt meines Studiums war ein Auslandsjahr in Bolivien – eine der besten Zeiten meines Lebens. Ich bin durchs Land gereist und habe eine Zeit lang bei den Franziskanern gewohnt. Unter den Bolivianern habe ich viele Freunde gefunden – sie hatten eine ganz andere Art zu glauben und zu leben. Das Jahr hat mich nachhaltig verändert. Die Menschen dort leiden unter großer materieller Armut, dennoch strahlen sie Lebensfreude und Vertrauen aus. Später war ich erschrocken, wie wenig ich ihre prekäre Situation vor Ort wahrgenommen hatte. Erst mit Abstand wurde mir das Ausmaß bewusst.

Ordensmann im Gespräch mit jungen Menschen

Pater Johannes mit Jugendlichen

Es lag sicher auch daran, dass die Gemeinschaft in Bolivien eine völlig andere ist als in westlichen Ländern. Die Menschen definieren sich über ihr Dorf, ihre Sippe, die Familie. Wer zu Wohlstand kommt, stellt sich keinen Porsche vor die Tür, sondern finanziert das Dorffest, investiert in die Gemeinschaft. Das ist es, was dort zählt. Meine Erfahrungen haben mir klar gezeigt: Ich will in Gemeinschaft leben. Und das ist bis heute so geblieben. Es gibt für mich nichts Traurigeres, als alleine essen zu müssen. Ich brauche viele Menschen um mich herum.

Klarheit durch große Exerzitien

Nach Bolivien setzte ich mein Studium in Tübingen fort. Durch Zufall – oder war es eine Fügung – war ich genau in der Woche des Don-Bosco-Festes für einen Gottesdienst im Seminar verantwortlich. Zur Vorbereitung ging ich in die Bibliothek und las ein Buch über den Ordensgründer. Und plötzlich war da wieder diese Faszination, die ich als Kind gespürt hatte, wenn ich den Don-Bosco-Film ansah. Sein Leben, seine Art, mit jungen Menschen umzugehen – das war genau das, was ich wollte.

Also nahm ich Kontakt zu den Salesianern auf und besuchte Benediktbeuern, um mir ihr Leben und Arbeiten anzusehen. Ich war begeistert davon, mit welcher Leichtigkeit die Ordensbrüder mit jungen Menschen in Kontakt kamen – das fand ich inspirierend. Später verbrachte ich zehn Tage in Regensburg und lernte eine Jugendhilfeeinrichtung der Salesianer kennen. Am Ende dieses Aufenthaltes wusste ich: Hier ist mein Platz! Eigentlich...

Denn bald darauf drängte sich eine entscheidende Frage auf: Will und kann ich ehelos leben? Ich hatte eine Frau kennengelernt und dachte ernsthaft über alternative Berufe nach. Doch immer wieder überkam mich das Gefühl, in einer Beziehung nicht frei zu sein. Einmal war eine frühere Klassenkameradin in Not und ich wollte eigentlich für sie da sein. Doch ich feierte gerade mit meiner Freundin und Freunden Silvester – und konnte nicht. Das machte mir deutlich, dass ich in einer Beziehung nicht der Mensch sein konnte, der ich sein wollte.

Um mir endgültig über meinen weiteren Weg klar zu werden, begann ich zwei Monate später große Exerzitien. Zweimal 15 Tage – unterbrochen vom Osterfest – in völliger Stille in einem Exerzitienhaus. Diese Zeit war unglaublich intensiv. Ich meditierte täglich Bibeltexte, hatte einmal am Tag ein kurzes Gespräch mit meiner geistlichen Begleiterin – ansonsten war ich mit mir, Gott und meinen Gedanken allein. In dieser Zeit wurde mir endgültig bewusst: Der Orden ist mein Weg.

Die ersten Schritte im Orden

Als ich mich im April 2002 wieder bei den Salesianern meldete, hatten sie wohl gar nicht mehr mit mir gerechnet. Ich aber war bereit für den ersten Schritt und begann ein Aspirantat. Ein Jahr lebte ich bei den Mitbrüdern in Chemnitz und Regensburg mit und arbeitete vor Ort in der Jugendarbeit. Es war eine spannende Zeit des Hineinwachsens in die Gemeinschaft und ich durfte im Alltag vor Ort herausfinden, ob dieser Weg zu mir passt.

Mein Noviziat absolvierte ich danach in Turin. Wir waren 21 junge Männer aus neun Ländern, und ich war mit 26 Jahren einer der Älteren. Die Gemeinschaft war inspirierend, lebendig, international und damit genau das Richtige für mich. Nach dem Noviziat begann ich mein Studium der Sozialen Arbeit in Benediktbeuern, machte zwischendurch ein Praxisjahr in Essen und Heiligenstadt und schloss das Studium nach vier Jahren ab.

Meine erste Stelle war die Leitung der Unterstufe im Internat am Don Bosco-Standort Buxheim. Dort betreute ich Schüler zwischen sieben und dreizehn Jahren. Leider sollte ich nur ein Jahr an diesem tollen Ort verbringen, denn mein Diakonat stand an. 2009 wurde ich nach Chemnitz versetzt – als Leiter der Einrichtung, die ich als Aspirant kennengelernt hatte.

Parallel war ich mit einer halben Stelle in der Gemeinde St. Joseph tätig in der ich nach der Ewigen Profess - mein endgültiges Versprechen, in der Ordensgemeinschaft zu leben – auch die praktische Ausbildung zum Diakon und Priester absolvierte. Die Richtung war klar, die Zeit war reif. Es gab keinen inneren Kampf, keine Zweifel, keine Umwege. Schritt für Schritt bin ich weitergegangen und habe aus vollem Herzen Ja gesagt, zu allem, was kam.

Jubiläum Zirkus Birikino

Burgstädt – Der Zirkus „ Birikino" feiert 20-jähriges Jubiläum.

Herausforderungen und Weiterentwicklung

Die Jahre in Chemnitz waren mit der Leitung der Einrichtung eine große Herausforderung für mich. Ich arbeitete dort mit jungen Menschen in einem sozialen Brennpunkt. Es gab einen Offenen Kinder- und Jugendtreff mit vielen unterschiedlichen Unterstützungsangeboten. Besonders wichtig wurde mir hier das Projekt „Startklar“, wo wir uns um Jugendliche kümmerten, die wirklich gar keine Perspektive mehr hatten. Ich erinnere mich, wie ich mit einem Kollegen im Büro der Arbeitsagentur stand und man uns einen Schrank voller Akten über jungen Menschen zeigte, die niemand mehr erreichen konnte.

Es waren zum Teil Drogenabhängige, Jugendliche, die auf der Straße lebten - völlig abgekoppelt von allem. Wir versuchten, Kontakt zu ihnen aufzunehmen und bei vielen gelang es auch. Daneben konnte ich auch unseren Kinder- und Jugendzirkus Birikino weiter ausbauen. Bis heute bewegt mich diese Art der Pädagogik sehr, denn ich bin überzeugt, dass junge Menschen sich am besten abholen lassen, wenn sie etwas fasziniert. Das ist auch gerade der Ansatz, den Don Boscos zu seiner Zeit verwirklichte.

Wir haben mit ihnen Feuerjonglage gemacht, liefen gemeinsam mit Stelzen durch die Straßen. Wie stolz sie waren, weil sie alle anderen Passanten überragten. Plötzlich fühlten sie sich auch innerlich größer. Wenn man sichtbar macht, was junge Menschen alles können, bei ihren Talenten ansetzt, dann verändert man ganz viel. Chemnitz war der Ort, der mich als Salesianer am meisten geprägt hat und wo ich am glücklichsten war.

Pater Johannes Kaufmann spielt Billard mit Jugendlichen

Pater Johannes am Billardtisch

Es ist mir richtig schwer gefallen wegzugehen. Aber nach acht Jahren war meine Zeit dort zu Ende. 2017 durfte ich eine neue Aufgabe als Jugendpastoralbeauftragter und Verantwortlicher für die Berufungspastoral übernehmen und lebe seither in meiner Mitbrüdergemeinschaft in Würzburg. Ich bin heute in der Provinzleitung tätig, auf europäischer Ebene Beauftragter für die Jugendpastoral und nun auch Direktor der Einrichtung.

Viele meiner Aufgaben bringen Dienstreisen mit sich. Obwohl ich gerne unterwegs bin, sehne ich mich danach, mehr hier zu sein. Denn auch wenn ich einen guten Bezug zu meinen Eltern und meinem Bruder habe: Der Orden ist meine Familie und meine Mitbrüder wie Geschwister - besonders jene, mit denen ich in einer Gemeinschaft zusammenlebe. Zu den Jugendlichen habe ich mit Ende vierzig eine zunehmend väterliche Beziehung. Sie alle sollen wissen, dass sie dazugehören und dass wir immer für sie da sind, wenn sie uns brauchen.

Berufung ist kein geradliniger Weg – es gibt Höhen und Tiefen, manchmal ist es die pure Freude und manchmal eine echte Herausforderung. Gelegentlich denkt man darüber nach, wie es wohl wäre, ein anderes Leben zu führen. Aber ich glaube, das tut jeder Mensch – egal, in welcher Konstellation er lebt. Ich habe nie bereut, mich für den Salesianer-Orden entschieden zu haben. Er ist meine Familie, er ist mein Zuhause.

Fotos: Katharina Gebauer